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Stellungnahme zum Referentenentwurf Grundsicherung

SoVD-Stellungnahme zum Referentenentwurf des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales: Entwurf eines Dreizehnten Gesetzes zur Änderung des Zweiten Buches Sozialgesetzbuch und andere Gesetze (13. SGB II ÄndG)

1 Zusammenfassung des Gesetzentwurfs 

Beim vorliegenden Referentenentwurf handelt es sich um eine weitreichende Reform des SGB II und weiterer Sozialgesetzbücher. Folgende Anpassungen sind u.a. vorgesehen: 

1. Stärkeres Fordern: Pflichten steigen 

  • Stärkere Verpflichtung zur Vollzeitarbeit.
  • Erziehende sollen bereits ab dem 1. Geburtstag des Kindes in Arbeit vermittelt werden oder an Maßnahmen teilnehmen. 

2. Vorrang der schnellen Vermittlung 

  • Vermittlung in Arbeit oder Ausbildung bekommt einen klaren gesetzlichen Vorrang vor anderen Förderinstrumenten. Ausnahmen von dieser Regelung sind insbesondere für U30-Jährige vorgesehen. 

3. Kooperationsplan wird verbindlicher 

  • Wer nicht mitwirkt, kann schneller per Verwaltungsakt dazu verpflichtet werden.
  • Schlichtungsverfahren entfällt.  
  • Bedarfe von Menschen mit Behinderungen sollen stärker berücksichtigt werden. 

4. Leistungsminderungen werden verschärft 

  • Sanktionen bei Pflichtverletzungen werden erhöht und vereinheitlicht.
  • Drei Meldeversäumnisse trotz schriftlicher Belehrung über die Folgen führen zu einem Leistungsentzug des Regelbedarfs.
  • Einführung einer Arbeitsverweigerer-Regelung mit vollständigem Entfall des Regelbedarfs ab der ersten Pflichtverletzung.
  • Schutzmechanismen für Menschen mit psychischen Erkrankungen werden ausgebaut. 

5. Vermögen 

  • Karenzzeit beim Vermögen im SGB II entfällt.
  • Neues altersgestaffeltes Schonvermögen im SGB II (5.000–20.000 Euro). 

6. Kosten der Unterkunft und Heizung 

  • Unterkunftskosten werden stärker gedeckelt, auch in der Karenzzeit.
  • Mietpreisbrems-Verstöße müssen von Leistungsberechtigten künftig beim Vermieter gerügt werden. 

7. Bekämpfung von Missbrauch & Schwarzarbeit 

  • Jobcenter müssen Hinweise auf Schwarzarbeit oder Mindestlohnverstöße an die Zollbehörden melden.

8. Förderung & Integration 

  • Verbesserter Zugang zu § 16e (Förderung für Langzeitleistungsbeziehende).
  • Ausbau einer ganzheitlichen Beratung für junge Menschen im SGB III.
  • Stärkere rechtskreisübergreifende Zusammenarbeit (Jugendberufsagenturen).
  • Förderung für „schwer zu erreichende junge Menschen“ wird präzisiert. 

2 Gesamtbewertung 

Im Referentenentwurf wird auf Seite eins betont, ein starker Sozialstaat brauche „klare, durchsetzbare Regeln und die Mitwirkungsbereitschaft aller erwerbsfähigen Menschen, die Sozialleistungen beziehen“. Gleichzeitig wird wenige Seiten später ausgeführt, „dass die meisten Menschen im Integrationsprozess mitwirken und den Leistungsbezug (…) so schnell wie möglich wieder beenden wollen“ (Seite 3). Für den Sozialverband Deutschland (SoVD) steht außer Frage, dass es Sozialstaatsleistungen nicht bedingungslos geben kann, die Mitwirkung zur Überwindung der Hilfsbedürftigkeit daher auch eingefordert werden können muss und Sozialleistungsbetrug - ganz egal, von wem er ausgeht - geahndet werden muss. Dennoch zeigt sich im Referentenentwurf ein deutlicher Widerspruch: Wenn der Großteil der Leistungsberechtigten mitwirkt, wozu dann eine umfassende Reform, die vor allem auf die Durchsetzbarkeit von Regeln zielt? 

Es scheint, als ginge es bei der Reform vordergründig nicht nur darum, das Mindestsicherungssystem allein für diejenigen zu gestalten, die darauf angewiesen sind, oder Arbeitssuchende nachhaltig in den Arbeitsmarkt zu integrieren. Die Reform soll offenbar auch Menschen ansprechen, die trotz harter Arbeit kaum mehr haben als die Grundsicherungsempfangenden selbst und bei denen das Gefühl von sozialer Ungerechtigkeit immer größer wird. Aber genau darin liegt das Problem: Diese Reform gibt keine Antwort auf eine zentrale Frage, die endlich beantwortet werden muss. Nämlich, wie wir sicherstellen können, dass Arbeit sich lohnt, wie Haushalte mit niedrigen Einkommen künftig besser entlastet werden können und das Gefühl von sozialer Gerechtigkeit wieder dorthin zurückkehren kann, wo viel geleistet wird. 

Eine Reform, die primär auf Sanktionen bis hin zur Regelsatzstreichung setzt, erzeugt vor allem Angst bei ärmeren und chronisch kranken Menschen. Sie hilft auch nicht den Menschen, die knapp über der Grundsicherungsschwelle leben. Die Ursache von sozialer Ungerechtigkeit ist aktuell vor allem die wachsende Kluft zwischen denen, die trotz harter Arbeit kaum über die Runden kommen, und denen, die über erhebliche Vermögen verfügen. 3.900 Menschen besitzen in Deutschland fast ein Drittel des gesamten Finanzvermögens. Und sie tragen nur noch halb so hohe Abgabensätze wie die Mitte der Gesellschaft. Das Aussetzen der Vermögenssteuer kostet den Staat jährlich rund 20 Milliarden Euro. Es braucht also nicht nur Entlastung bei Menschen mit niedrigen Einkommen, z.B. durch einen armutsfesten Mindestlohn und wirksame Regelungen für bezahlbares Wohnen, es braucht vor allem eine Wiedererhebung der Vermögenssteuer und eine Erbschaftssteuerreform. Auch der Spitzensteuersatz muss aus Sicht des SoVD auf 53 Prozent angehoben werden, damit die hohe soziale Ungleichheit abgebaut werden kann. 

Wenn Politik dauerhaft verhindern will, dass sich immer mehr Menschen abgehängt fühlen und extremen Kräften zuwenden, muss sie Antworten geben, die tatsächlich bei den Lebensrealitäten der Bevölkerung ansetzen. Ein Sozialstaat, der nicht spaltet, sondern zusammenführt - der Chancen verbessert, statt Druck zu erhöhen – ist die Voraussetzung dafür, dass gesellschaftlicher Zusammenhalt wieder wachsen kann. Ein besserer Schutz vor Sozialleistungsbetrug und verschärfte Mitwirkungspflichten spielen angesichts dieser großen Linien allenfalls eine nachgeordnete Rolle. 

Schließlich werden sich auch die geschürten Erwartungen zu großen Einsparungen im Sozialetat mit der geplanten Reform nicht erfüllen lassen, denn da, wo das Existenzminimum verfassungsrechtlich geschützt ist, sind spürbare Kürzungen – zu Recht – nahezu unmöglich. 

3 Zu den einzelnen Regelungen 

Vollzeitbeschäftigung und Zumutbarkeit 

Artikel 1 (zu § 2 SGB II - NEU sowie § 10 SGB II - NEU) 

§ 2 SGB II - NEU regelt, dass erwerbsfähige Leistungsberechtigte ihre Arbeitskraft in dem Umfang einsetzen müssen, die zur vollständigen Überwindung der Hilfebedürftigkeit der Bedarfsgemeinschaft erforderlich und individuell zumutbar ist. Hierfür ist u.a. auch der § 10 SGB II - NEU zu beachten. Die Zumutbarkeitskriterien wurden angepasst. 

Ausgenommen sind nun nur noch Eltern mit einem Kind unter einem Jahr. Hier wurde neu geregelt, dass die Aufnahme von Arbeit und die Teilnahme an Maßnahmen für erwerbsfähige Leistungsberechtigte nur dann nicht zumutbar ist, bis das eigene Kind oder das der*des Partnerin*Partners das erste Lebensjahr vollendet hat. Außerdem sollen die Zumutbarkeitskriterien nicht nur für die Eingliederung in Arbeit, sondern künftig auch für Integrationskurse nach § 43 des Aufenthaltsgesetzes oder Maßnahmen der berufsbezogenen Deutschsprachförderung nach § 45a des Aufenthaltsgesetzes gelten. Darüber hinaus soll § 10 SGB II - NEU regeln, dass nach einjährigem Leistungsbezug bei Selbstständigen überprüft werden soll, ob eine andere Tätigkeit zumutbar ist. 

SoVD-Bewertung: Aus Sicht des Sozialverbandes (SoVD) ist es zwar grundsätzlich nachvollziehbar, dass erwerbsfähige Leistungsberechtigte möglichst in Beschäftigung vermittelt werden sollen, die ihre Hilfebedürftigkeit vollständig überwindet, jedoch ist die geplante Nachschärfung im Gesetzestext aus Sicht des Verbandes dafür nicht erforderlich, denn sie ist gelebte Praxis. Vielmehr entsteht mit den geplanten Neuregelungen der Eindruck, dass besonders die Gruppe der 826.000 Aufstocker*innen, sehr kritisch in den Blick genommen und unter Generalverdacht gestellt wird, nicht (genug) arbeiten zu wollen. Davon sind laut Familienreport 2024 ca. 122.000 alleinerziehend und trotzdem erwerbstätig. 

Das gesetzlich verankerte Abstellen auf Vollzeitbeschäftigung blendet die vielfältigen Lebenslagen aus, in denen Menschen Bürgergeld beziehen – von Alleinerziehenden mit komplexen Betreuungsrealitäten bis hin zu Personen mit gesundheitlichen Einschränkungen. Gleichzeitig ist der Arbeitsmarkt nicht beliebig aufnahmefähig: In manchen Regionen und Branchen mangelt es an vollzeitnahen, existenzsichernden Stellen. Eine Vermittlung in Vollzeit darf aus Sicht des SoVD daher nicht zur bloßen Formalie werden, die an der Lebenswirklichkeit der Betroffenen vorbeigeht. Statt Druck und einer generellen Verpflichtung braucht es verlässliche Kinderbetreuung, faire Arbeitsmarktchancen, existenzsichernde Löhne und eine differenzierte Betrachtung der jeweiligen Lebenssituation. Denn nicht alle Leistungsbeziehenden sind voll einsatzfähig und jederzeit vermittlungsbereit. Trotzdem fallen sie nicht immer unter den „Schutz“ der Unzumutbarkeitskriterien nach § 10 Absatz 1. 

Bei der geplanten Änderung in § 10 Absatz 1 für Eltern, die künftig für Maßnahmen und die Aufnahme einer Erwerbstätigkeit zwei Jahre früher zur Verfügung stehen sollen (mit Vollendung des 1. Lebensjahres ihres Kindes), sei aus Sicht des SoVD folgendes angesprochen: Zwar ist im Gesetzestext vorgesehen, dass ein Kitaplatz die Voraussetzung ist, in weiten Teilen Deutschlands fehlen jedoch ausreichend Kitaplätze, die Öffnungszeiten sind oft nicht kompatibel mit Vollzeitarbeit - insbesondere bei Schichtdiensten -, denn flexible Betreuungsangebote sind eher eine Seltenheit. Gleichzeitig zeigen Studien aber, dass eine Integration in den Arbeitsmarkt umso schwerer fällt, wenn das Ausscheiden aus dem Erwerbsleben sehr lange anhält. Der Spracherwerb im Rahmen einer Maßnahme des Jobcenters ist beispielsweise aber Grundvoraussetzung, um überhaupt in den Arbeitsmarkt vermittelt werden zu können. Aber wie auch bei erwerbstätigen Eltern, die in den Job mit weniger Stunden zurückkehren, sollte es Teilzeit-Möglichkeiten für Maßnahmen gerade bei Alleinerziehenden geben. Insofern müssen Qualifizierungsangebote – auch in Teilzeit (und unabhängig vom Alter) zur Verfügung stehen – immer da, wo es den Betroffenen dabei hilft, ihre Hilfebedürftigkeit dauerhaft zu überwinden. 

Zur Regelung der Selbstständigkeit: Es ist grundsätzlich nachvollziehbar, dass eine Beschäftigung, die nicht den Grundsicherungsbezug überwindet, hinterfragt werden sollte – auch im Interesse derjenigen, die sie ausüben. Eine rentable Selbstständigkeit aufzubauen kann jedoch mehrere Jahre dauern. Dies muss bei der Überprüfung aus Sicht des SoVD berücksichtigt werden. 

Vermittlungsvorrang 

Artikel 1 (zu § 3a SGB II - NEU) 

§ 3a SGB II - NEU regelt, dass die Vermittlung in Ausbildung und Arbeit den Vorrang vor Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts hat. Andere Leistungen zur Eingliederung in Arbeit sind nachrangig, es sei denn, eine Leistung für eine dauerhafte Eingliederung ist erfolgsversprechender - insbesondere für U30-Jährige. 

SoVD-Bewertung: Der Vorrang der schnellen Vermittlung in jedwede Arbeit – weitgehend unabhängig von ihrer Qualität und Nachhaltigkeit – soll künftig wieder möglich werden. Das bewertet der SoVD überaus kritisch. Denn die Gefahr ist groß, dass Leistungsbeziehende in (Vollzeit-)Beschäftigungsverhältnisse gedrängt werden, die keine langfristige Perspektive bieten, sondern Drehtüreffekte erzeugen – also ein schnelles Hin- und Herwechseln zwischen prekärem Arbeitsverhältnis und Bürger- bzw. neuem Grundsicherungsgeld. Aus Sicht des SoVD ist das nicht nur für den Einzelnen häufig nicht sinnvoll, es ist auch volkswirtschaftlich ineffizient. Der SoVD kritisiert, dass ein strikter Vermittlungsvorrang den individuellen Lebenslagen vieler Menschen nicht gerecht werden kann – etwa Alleinerziehenden, Menschen mit gesundheitlichen Einschränkungen oder Personen, die zunächst Qualifizierung benötigen, um dauerhaft unabhängig von der Grundsicherung zu werden. Zwar sind Qualifizierungsmaßnahmen grundsätzlich weiterhin vorgesehen, wenn sie für die dauerhafte Eingliederung erfolgsversprechender sind. Jedoch ist in § 3a im Gesetzestext festgehalten, dass sie „insbesondere bei Personen, die das 30. Lebensjahr noch nicht vollendet haben“ erwogen werden sollen. Das ist aus Sicht des SoVD nicht sinnvoll. Es muss überall dort gefördert werden, wo Förderung nötig ist. Das ist an keinem Alter festzumachen. Es ist nicht schlüssig, warum beispielsweise älteren Arbeitssuchenden, deren Ausbildung vielleicht schon Jahrzehnte zurückliegt und die deshalb Schwierigkeiten haben, auf dem Arbeitsmarkt wieder Fuß zu fassen, eine Qualifizierungsmaßnahme verwehrt werden sollte - nur aufgrund ihres Alters. Wenn die Menschen dem Arbeitsmarkt lange erhalten bleiben sollen, müssen sie auch ihr Leben lang entsprechend qualifiziert werden. Die Regelung widerspricht diesem Ziel grundlegend. 

Der SoVD fordert stattdessen eine Arbeitsmarktpolitik, die auf nachhaltige Integration setzt: auf Weiterqualifizierung, Sprachförderung, individuelle Unterstützung und gute Arbeit zu auskömmlichen Löhnen. Deshalb spricht sich der SoVD klar dafür aus, den individuellen Förderbedarf über die schnelle Vermittlung zu stellen. Echte Teilhabechancen und langfristige Perspektiven müssen im Mittelpunkt der Bemühungen des Jobcenters stehen. 

Meldeversäumnisse und Erreichbarkeit 

Artikel 1 (zu § 7b Absatz 4 SGB II - NEU, § 22 Absatz 7 SGB II - NEU, § 32 SGB II - NEU, § 32a SGB II - NEU) 

In § 32 SGB II - NEU wird geregelt, dass ein wiederholtes Meldeversäumnis zu einer Leistungsminderung von 30 Prozent des Regelbedarfs führt. Der Minderungszeitraum soll unverändert einen Monat betragen. 

Der neue § 32a regelt den Leistungsentzug bei mehrfachem Meldeversäumnis: Werden drei aufeinanderfolgende Termine ohne triftigen Grund verpasst, wird der Leistungsanspruch in Höhe des Regelbedarfs entzogen. Die Miete wird direkt an den Vermieter gezahlt. Erscheint der Leistungsberechtigte innerhalb eines Monats ab Beginn des Leistungsentzugs persönlich, werden die Leistungen nachträglich - aber mit einer Minderung von 30 Prozent - erbracht. 

Passiert dies nicht, gilt die Person als nicht erreichbar. Der Bürgergeldanspruch entfällt (§ 7b Absatz 4). Beiträge zur Kranken- und Pflegeversicherung werden trotzdem weiter geleistet. 

Der Anteil der Kosten der Unterkunft wird auf die restlichen Mitglieder der Bedarfsgemeinschaft verteilt (§ 22 Absatz 7 SGB II - NEU). 

Bei Personen, die vom Leistenzug betroffen sind, soll eine persönliche Anhörung durchgeführt werden. 

SoVD-Bewertung: Für den SoVD steht außer Frage, dass nur diejenigen Leistungen vom Sozialstaat erhalten sollen, die sie auch wirklich benötigen. Nach drei verpassten Meldeterminen wird im Rahmen der neuen Regelung wohl angenommen, dass keine Hilfebedürftigkeit mehr besteht, und daher sollen die Leistungen künftig gänzlich eingestellt werden. Das ist grundsätzlich zwar nachvollziehbar, jedoch ist die Gefahr groß, dass auch Menschen vom Grundsicherungsbezug ausgeschlossen werden, deren Hilfebedürftigkeit ganz und gar nicht überwunden wurde. Statt durch aufsuchende Sozialarbeit oder andere proaktive Maßnahmen die Ursachen für die wiederholten Meldeversäumnisse (die oft in psychischen Belastungen, Überforderung oder Krankheit liegen) zu klären, bricht das Jobcenter den Kontakt über die Leistungsentziehung vollständig ab. Dies konterkariert den eigentlichen Auftrag der Grundsicherung, nämlich die Menschen zu unterstützen und in Arbeit zu integrieren. Darüber hinaus sind aufsuchende Hilfen keine verpflichtende Voraussetzung, um Leistungen einstellen zu können. Diese sind aus Sicht des Verbandes aber unbedingt erforderlich, um einen vollständigen Leistungsentzug rechtfertigen zu können. Auf diese Weise ließe sich feststellen, ob beispielsweise eine psychische Erkrankung zugrunde liegt, die den Kontaktaufbau zum Jobcenter verhindert. 

Darüber hinaus gibt es keine klare gesetzliche Regelung dazu, wie schnell nach versäumten Terminen eine Einladung zu einem neuen Termin erfolgen darf. Wenn sehr kurzfristig hintereinander eingeladen wird, besteht zumindest die Gefahr, dass die Betroffenen die Aufforderungen nicht rechtzeitig erreichen, wenn etwa ein ungeplanter Klinikaufenthalt oder auch ein Familienbesuch im Todesfall eine längere Abwesenheit hervorrufen.

Zwar ist positiv anzumerken, dass die Unterkunftskosten weiterhin übernommen werden sollen, wenn die vormals leistungsbeziehende Person zusammen mit anderen Mitgliedern eine Bedarfsgemeinschaft bildet. Doch auch wenn gerade Kinder in Bedarfsgemeinschaften in ihrem Wohnraum mit dieser Regelung geschützt werden, ist es falsch, davon auszugehen, dass sie der Leistungsentzug nicht unmittelbar treffen würde. Familien wirtschaften gemeinsam. Wenn der Regelbedarf bei einem Elternteil fehlt, fehlt er der gesamten Familie - auch den Kindern. Das Existenzminimum wird damit nicht nur von der Person, die Termine versäumt, unterschritten, sondern automatisch auch von den weiteren Mitgliedern der Bedarfsgemeinschaft. 

Schonvermögen 

Artikel 1 (zu § 12 SGB II - NEU) 

Artikel 1 § 12 SGB II - NEU regelt, welches Vermögen künftig berücksichtigt werden soll. Die Karenzzeit beim Vermögen soll künftig entfallen (aktuell 40.000 Euro für Alleinstehende für 12 Monate). Die Freibetrags-Grenzen sollen künftig nach Lebensalter gestaffelt werden. Bis zum 30. Lebensjahr soll der Freibetrag beim Vermögen 5.000 Euro, bis zum 41. Lebensjahr 10.000, bis zum 51. Lebensjahr 12.500 und ab dem 51. Lebensjahr 20.000 Euro betragen. Die Schonvermögensgrenzen im SGB XII bleiben davon unberührt. Hier gilt weiterhin: Für SGB XII-Leistungsempfänger*innen liegt der Vermögensfreibetrag weiterhin unabhängig vom Alter bei 10.000 Euro. 

SoVD-Bewertung: Die beabsichtigte Streichung der Karenzzeit sowie das Absenken der Schonvermögensgrenzen je nach Lebensalter bewertet der SoVD kritisch. Die aktuell noch gültige einjährige Karenzzeit, in der Leistungsbeziehende von höheren Freibetragsgrenzen profitieren (40.000 Euro für Alleinstehende aktuell), ermöglicht es Menschen nach einem Jobverlust ohne Anspruch auf ALG- I-Leistungen, sich voll und ganz der Jobsuche zu widmen - nämlich mit Unterstützung der Jobcenter. Die geplante Streichung der Karenzzeit und das Herabsenken der Schonvermögensgrenzen für bestimmte Altersgruppen haben jedoch zur Folge, dass Menschen keinen Bürgergeld-Anspruch haben werden, wenn ihr Vermögen die festgelegten Grenzwerte überschreitet. Somit sind sie künftig deutlich schneller gezwungen, ihr Erspartes für den Lebensunterhalt zu nutzen und damit z.B. auch ihre Rücklagen zur privaten Altersvorsorge aufzubrauchen. Zwar sollen auch weiterhin Versicherungsbeiträge, die der Alterssicherung dienen, zum Schonvermögen zählen. Jedoch werden nur solche berücksichtigt, die vom Staat steuerlich oder durch Zulagen gefördert werden (z.B. Riester, Rürup). Setzen Menschen, und das betrifft vor allem die jüngere Generation, auf alternative Formen der Altersvorsorge und sparen ihr Geld bspw. langfristig in ETFs an, sind diese Beträge künftig weniger geschützt als in geltendem Recht.

Durch die aktuellen Planungen entsteht eine deutliche Ungleichbehandlung verschiedener Personengruppen: Während Haus- oder Wohneigentum weiterhin grundsätzlich zum Schonvermögen zählt, ist es für viele, insbesondere auch junge Menschen, schlichtweg unvorstellbar, sich jemals ein Haus oder eine Wohnung leisten zu können. Sie wohnen stattdessen zur Miete und sparen von ihrem geringen Lohn so viel wie möglich, um im Alter gut über die Runden zu kommen. Diese Personengruppe soll nun aber, je nach Alter, sehr viel schneller auf einen bestimmten Betrag „runtersparen“, um leistungsberechtigt zu sein. Auf diese Weise wird zwar die Zahl der Leistungsempfänger*innen im SGB II gesenkt, gleichzeitig verlagert man das Armutsproblem damit aber in die Zukunft. Daher ist es aus Sicht des Verbandes dringend erforderlich, auf die geplanten Änderungen zu verzichten. Außerdem fordern wir, dass die Schonvermögensgrenzen im SGB XII nicht hinter denen des SGB II zurückfallen dürfen. Gerade Menschen, die nicht mehr erwerbsfähig sind und sich aus dieser Lage künftig also auch nicht befreien können, sind umso mehr auf Rücklagen angewiesen, nicht zuletzt, um sich notwendige wichtige Medikamente oder andere notwendige, aber im SGB XII nicht abgedeckte Bedarfe leisten zu können. 

Kooperationsplan 

Artikel 1 (zu § 15 SGB II - NEU; § 15a SGB II - NEU) 

In § 15 SGB II - NEU soll geregelt werden, dass die Agentur für Arbeit mit der leistungsberechtigten Person unverzüglich ein persönliches Gespräch im Jobcenter vereinbart. Die Verbindlichkeit soll damit gestärkt werden. Der Vermittlungsvorrang soll im Kooperationsplan künftig stets berücksichtigt werden. Der Kooperationsplan zielt nicht mehr darauf ab, welche Leistungen der Eingliederung in Frage kommen, es geht folglich vorrangig darum, in welche Ausbildung, Tätigkeiten oder Tätigkeitsbereiche die Leistungsberechtigten vermittelt werden sollen. Die besonderen Bedürfnisse von Menschen mit Behinderungen und schwerbehinderten Menschen sollen dabei angemessen berücksichtigt werden und zudem soll bei Bedarf an Leistungen nach § 5 Neuntes Buch auf eine Antragstellung hingewirkt werden. Außerdem soll in § 15a SGB II - NEU das Schlichtungsverfahren abgeschafft und stattdessen die verbindliche Verpflichtung zur Mitwirkung geregelt werden. Diese sieht eine Befugnis zum Erlass von Verwaltungsakten bei Erforderlichkeit vor. Wird eine Einladung zu einem Gespräch ohne triftigen Grund nicht wahrgenommen, kann die Agentur für Arbeit per Verwaltungsakt Eigenbemühungen, die Aufnahme einer Beschäftigung oder die Teilnahme an Maßnahmen zur Eingliederung in Arbeit verpflichtend einfordern. Das Gleiche gilt für die Teilnahme an Integrationskursen oder einer Maßnahme der berufsbezogenen Deutschsprachförderung. Halten sich Leistungsbeziehende nicht daran, wird dies künftig als Pflichtverletzung gewertet und hat Leistungsminderungen zur Folge (siehe dazu auch § 31 Absatz 1 Satz 1). 

SoVD-Bewertung: Der SoVD begrüßt, dass mit der Neuregelung in § 15 SGB II - NEU gesetzlich festgeschrieben wird, dass die Vereinbarungen im Kooperationsplan in einem persönlichen Gespräch im Jobcenter gemeinsam erarbeitet werden sollen. Denn der direkte Kontakt ist grundsätzlich die beste Grundlage für eine erfolgreiche Zusammenarbeit, schafft gegenseitiges Vertrauen, das wiederum für eine erfolgreiche Integration in den Arbeitsmarkt von zentraler Bedeutung ist. Gleichzeitig soll es jedoch zu deutlichen Verschärfungen für Leistungsbeziehende kommen. Der Kooperationsplan soll wieder in Richtung Eingliederungsvereinbarung rückentwickelt und damit vor allem als Grundlage für Leistungsminderungen nutzbar gemacht werden. Anstatt die kooperative Zusammenarbeit und die Beratungsleistung in den Vordergrund zu stellen, werden Zwang und Sanktionsandrohung als primäre Steuerungsinstrumente wiedereingeführt oder massiv verschärft. Der Kooperationsplan verliert damit seine Funktion als gemeinsam erarbeitetes Instrument zur Verbesserung der Teilhabe und die umfassende Abwägung, welche Unterstützungsleistungen tatsächlich zur Überwindung der Hilfebedürftigkeit nötig sind, rückt gänzlich in den Hintergrund. Der Druck zur Mitwirkung steigt damit künftig massiv. 

Die Betonung der angemessenen Berücksichtigung der besonderen Bedürfnisse von Menschen mit Behinderungen und die Hinwirkung auf Leistungen nach § 5 SGB IX begrüßen wir als SoVD grundsätzlich. Als SoVD ist uns eine Vermittlung in Arbeit auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt auch für Menschen mit Behinderungen ein wichtiges Anliegen. Bei der Beratung von Menschen mit Behinderungen ist zu berücksichtigen, dass es für sie ungleich schwerer ist, im Arbeitsleben (wieder) Fuß zu fassen, als für Menschen ohne Behinderungen, weil häufig die erforderlichen Strukturen für Menschen mit Behinderungen fehlen. Daher begrüßen wir, dass die besonderen Bedarfe von Menschen mit Behinderungen hier explizit Erwähnung finden. In Bezug auf Menschen mit Behinderungen muss auch berücksichtigt werden, dass die notwendige Zeit für die Klärung komplexer Reha-Bedarfe eingeplant werden muss und diese nicht unter dem Vorrang der schnellen Vermittlung vernachlässigt wird. Das Schlichtungsverfahren war ein zentrales Element, um bei Meinungsverschiedenheiten zwischen Jobcenter und Leistungsberechtigtem eine vertrauensbildende und deeskalierende Lösung zu finden, bevor Leistungsminderungen drohen. Seine Abschaffung nimmt den Betroffenen die Möglichkeit einer neutralen Vermittlung. Der SoVD fordert die Beibehaltung des Schlichtungsverfahrens und die Rückkehr zu einem echten kooperativen Ansatz im SGB II. 

Förderung von Langzeitarbeitslosen 

Artikel 1 (zu § 16e SGB II - NEU) 

Durch die neue Definition in § 16e SGB II - NEU soll eine größere Gruppe von langzeitleistungsbeziehenden Menschen Zugang zu gezielter Integrationsförderung erhalten, auch solche, die nicht durchgehend arbeitslos waren, sondern teilweise gearbeitet haben. Damit ein Arbeitsverhältnis durch Zuschüsse zum Arbeitsentgelt gefördert werden kann, ist von nun an ein mindestens 21-monatiger Leistungsbezug in den letzten 24 Monaten nötig. Auch Personen, die nur kurzzeitig geringfügig oder sozialversicherungspflichtig beschäftigt waren, sollen künftig als „Langzeitleistungsbeziehende“ gelten. Es wird klargestellt, dass künftig auch Zeiten in der Arbeitslosenversicherung (also Versicherungszeiten/-ansprüche im Arbeitslosenversicherungsrecht) bei der Förderung nach § 16e berücksichtigt werden sollen. Die Höhe der Förderung bleibt dabei grundsätzlich unverändert, d. h. die Leistung für Arbeitgeber oder zur Eingliederung wird nicht automatisch erhöht. 

SoVD-Bewertung: Der Personenkreis, der nach § 16e gefördert werden kann, soll sich laut Referentenentwurf mehr als verdoppeln. Bislang galt: nur wer 24 Monate in Folge arbeitslos war, konnte die entsprechende Förderung erhalten. Dass nunmehr auch Bezugszeiten der Arbeitslosenversicherung Berücksichtigung finden sollen, begrüßt der SoVD ausdrücklich. Der SoVD sieht hierin die Umsetzung seiner Forderung nach der Überwindung von starren Ausschlusskriterien. Denn aktuell werden dadurch diejenigen benachteiligt, die einen Versuch der Eingliederung in Arbeit unternommen haben. 

Bedarfe für Unterkunft und Heizung 

Artikel 1 (zu § 22 Absatz 1 Satz 6 SGB II - NEU und § 35 SGB XII - NEU) 

In § 22 Absatz 1 Satz 6 SGB II - NEU soll eine neue Obergrenze für die Anerkennung von tatsächlichen Aufwendungen für die Unterkunft ab dem ersten Tag des Leistungsbezugs eingeführt werden. Die Karenzzeit beim Wohnen bleibt - trotz der geplanten neuen Deckelung - grundsätzlich erhalten. Als Faustregel soll künftig gelten: Die kommunal festgelegten Angemessenheitsgrenzen dürfen maximal 1,5-fach höher liegen, um vom Amt übernommen zu werden. Außerdem ist in § 22 Absatz 1 Satz 8 vorgesehen, in welchen Fällen die Karenzzeit beim Wohnen grundsätzlich keine Gültigkeit hat: nämlich, wenn die Aufwendungen im Verhältnis zur Wohnfläche im maßgebenden Gebiet zu hoch sind oder gegen eine örtlich festgelegte Mietpreisbremse verstoßen. Gleichzeitig werden Leistungsberechtigte mit der Regelung dazu verpflichtet, mögliche Verstöße gegen die Mietpreisbremse beim Vermieter zu rügen, wenn die Miete die zulässige Höchstgrenze um mehr als 10 Prozent überschreitet. 

Absatz 1a regelt, dass bei unangemessenen Unterkunfts- und Heizungskosten die kommunalen Träger in der Pflicht sind, die Leistungsberechtigten darüber zu informieren. Heizungskosten sollen künftig systematisch für jeden Bewilligungszeitraum (i.d.R. sechs Monate), also auch bei Folgeanträgen, auf Angemessenheit geprüft werden. Unangemessene Aufwendungen werden also nur befristet anerkannt, und Kostensenkungsbemühungen wären erst nach Ablauf der Karenzzeit erforderlich. 

In Absatz 7 soll Folgendes geregelt werden: Gilt ein Mitglied der Bedarfsgemeinschaft nicht als erreichbar und werden in der Folge alle Leistungen versagt, wird der Anteil der Kosten der Unterkunft auf die übrigen Mitglieder der Bedarfsgemeinschaft verteilt. 

SoVD-Bewertung: Die Kommunen stehen aktuell massiv unter finanziellem Druck, die Verschuldung der öffentlichen Haushalte nimmt immer weiter zu. Die Kommunen entscheiden über die Angemessenheit der Kosten der Unterkunft und Heizung und sie tragen auch einen erheblichen Teil der Ausgaben im SGB II, nämlich 26 Prozent. Aus Sicht des SoVD zielen die Neuregelungen in eine völlig falsche Richtung. Will man die Kosten langfristig senken, sollten die Ursachen für zu hohe Wohnkosten in den Blick genommen werden. 

Denn Leistungsberechtigte mit sehr hohen Mieten müssen die Differenz, egal ob durch die 1,5-fache Deckelung, die Mietpreisbremse oder den m²-Höchstbetrag, langfristig selbst tragen. Sie sind die Leidtragenden, wenn das Rügen des Vermieters nicht erfolgreich war. Schon jetzt werden bei etwa 12,6 Prozent der Bedarfsgemeinschaften nicht die vollen Kosten für die Warmmiete übernommen. Die Zahl wird mit den geplanten Änderungen weiter steigen. Aktuell beträgt die durchschnittliche Differenz, die Leistungsbeziehende aus ihrem Regelsatz begleichen müssen, 116 Euro. Das führt unweigerlich zu einer Unterdeckung des Existenzminimums. 

Anstatt im SGB II und SGB XII bei der Berechnung der maximal anzuerkennenden Wohnkosten also nachzuschärfen und in Kauf zu nehmen, dass es zu einem größeren Teil der Bedarfs- und Haushaltsgemeinschaften zur Unterdeckung des Existenzminimums kommt, und außerdem alle Leistungsberechtigten in die Pflicht zu nehmen, die Einhaltung der Mietpreisbremse beim Vermieter zivilrechtlich einzufordern, sollte endlich der soziale Wohnungsbau massiv ausgeweitet werden. Denn das Grundproblem bleibt auch trotz einer Anpassung der SGB II-Regelungen bestehen: Es fehlt bezahlbarer Wohnraum. Mietpreissteigerungen müssen endlich wirksam bekämpft werden - und zwar nicht von Leistungsbeziehenden, die Vermieter rügen, sondern per Gesetz. Davon würde die gesamte Gesellschaft profitieren, denn die extreme Wohnkostenbelastung betrifft Haushalte mit niedrigen Einkommen außerhalb des Leistungsbezugs gleichermaßen. Und auf diese Weise könnte das Ziel, dass der Sozialstaat nicht weiter explodierende Mieten gegenfinanzieren muss, auch erreicht werden, ohne es auf dem Rücken der Grundsicherungsempfänger*innen allein auszutragen. Auch gegen Missbrauch durch Schrottimmobilien muss aus Sicht des Verbandes etwas unternommen werden, sodass der SoVD mögliche Regelungen für eine kommunal festgelegte Preisobergrenze je Quadratmeter nachvollziehen kann. 

Restriktivere Regelungen bei der Übernahme der Kosten der Unterkunft für Leistungsberechtigte im SGB II und im SGB XII sowie die Rügepflicht bewirken im Zweifel nur, dass Vermieter*innen noch weniger willig sein werden, Leistungsbeziehenden eine Wohnung zu vermieten. Denn sie müssen befürchten, dass die Einhaltung der Mietpreisbremse sehr viel häufiger eingefordert werden wird, als bei Menschen, die nicht im Leistungsbezug sind. Damit haben es Leistungsbeziehende auf dem Wohnungsmarkt künftig noch schwerer und das Problem von Wohnungslosigkeit nimmt weiter zu. 

Pflichtverletzungen und Rechtsfolgen 

Artikel 1 (zu § 31 SGB II - NEU, § 31a SGB II - NEU, § 31b SGB II - NEU) 

Werden die von der Agentur für Arbeit eingeforderten Eigenbemühungen nicht nachgewiesen, gilt das künftig als Pflichtverletzung (§ 31 Absatz 1 Satz 1). Das betrifft auch die Teilnahme an Kursen und Maßnahmen (Integrationskurse und Maßnahmen zur berufsbezogenen Deutschsprachförderung). Werden die Pflichten nicht erfüllt, sind Leistungsminderungen möglich. 

§ 31a Absatz 1 regelt, dass fortan Leistungsminderungen wegen Pflichtverletzungen im ersten Schritt einheitlich 30 Prozent des Regelbedarfs betragen sollen. Die stufenweise Minderung soll damit abgeschafft werden 

Absatz 2 regelt, dass im Falle einer bekannten psychischen Erkrankung, eine Anhörung persönlich erfolgen solle, bevor die Leistungen gemindert werden. Das soll auch gelten, wenn Anhaltspunkte vorliegen, dass die erwerbsfähige leistungsberechtigte Person nicht in der Lage ist, sich schriftlich zur geplanten Leistungsminderung zu äußern. Ziel soll es sein, Härtefälle besser identifizieren zu können. 

Absatz 4 stellt sicher, dass im Falle von Leistungsminderungen, die einen Wegfall der Leistungen nach dem SGB II darstellen, weiterhin ein Euro pro Monat gezahlt wird, um sicherzustellen, dass die Beiträge zur Kranken- und Pflegeversicherung weiter amtsseitig übernommen werden.

Absatz 7 regelt die Folgen bei Verweigerung der Aufnahme einer Arbeit. Künftig soll sofort bei Ablehnung eines zumutbaren Arbeitsangebots der Leistungsanspruch wegfallen. Es ist nicht mehr nötig, dass innerhalb des letzten Jahres der Regelbedarf wegen des gleichen Verstoßes (Ablehnung eines Jobangebots) gemindert wurde - der Regelbedarf kann künftig sofort entzogen werden. Die Kosten der Unterkunft und Heizung werden dann an den Vermieter direkt gezahlt. 

§ 31b regelt, dass der Minderungszeitraum bei Pflichtverletzung drei Monate betragen soll. Die stufenweise Minderungsdauer soll damit künftig entfallen. Die Minderung ist aufzuheben, wenn der Leistungsberechtigte die Pflicht erfüllt oder ernsthaft und nachhaltig erklärt, dass er dieser künftig nachkommt. Sie beträgt aber mindestens immer einen vollen Monat. 

SoVD-Bewertung: Die vorgesehenen Verschärfungen der Sanktionspraxis im SGB II lehnen wir ab. Diese Rückkehr zu rigiden Leistungsminderungen ist aus Sicht des SoVD weder arbeitsmarktpolitisch wirksam noch sozialpolitisch verantwortbar. Seinerzeit hatte der SoVD gefordert, ein Stufenmodell bei Leistungsminderungen einzuführen, sowohl was den Zeitraum der Minderung betrifft, als auch bei der Minderungshöhe. Künftig will man sofort bis an die Grenze des verfassungsrechtlich Möglichen gehen und mit 30 Prozent des Regelbedarfs mindern - für drei Monate. Es ist überaus fraglich, ob diese Maßnahme tatsächlich dem Ziel dienlich ist, die Menschen schneller und erfolgreich in Arbeit zu bringen. 

Besonders problematisch findet der SoVD zudem die Aufnahme von eingeforderten Eigenbemühungen als Pflichten. Denn es ist nirgendwo definiert, in welchem Spektrum sich Eigenbemühungen, die im Kooperationsplan festgehalten werden, bewegen können. Damit haben die Jobcenter einen sehr weitreichenden gesetzgeberischen Handlungsspielraum, denn sie legen im Kooperationsplan die Eigenbemühungen und damit die Pflichten der Leistungsberechtigten ohne konkrete Vorgaben fest. 

Besonders kritisch bewertet der SoVD die vorgesehene sofortige Streichung des Regelbedarfs bei Ablehnung eines Arbeitsangebots, da hier ohne gestufte Reaktion ein vollständiger Leistungswegfall sofort möglich ist. Dies widerspricht der Haltung des SoVD, dass Sanktionen immer verhältnismäßig, individuell geprüft und auf das absolut notwendige Minimum beschränkt bleiben müssen. Lehnt ein Leistungsberechtigter einen Job ab, dann liegt das in den allermeisten Fällen nicht an einer grundsätzlichen Totalverweigerung, sondern daran, dass die Rahmenbedingungen nicht passen, vor allem hinsichtlich Care-Verpflichtungen und Arbeitszeiten, oder andere persönliche Gründe einer Arbeitsaufnahme entgegenstehen. 

Wir begrüßen als SoVD zwar, dass nun im Gesetzestext dem Thema psychische Erkrankungen eine besondere Bedeutung im Kontext von bevorstehenden Leistungsminderungen beigemessen wird und ein Kontaktabbruch zum Jobcenter durch die Möglichkeit einer persönlichen Anhörung vermieden werden soll. Gründe für das ursächliche Verhalten sollen im persönlichen Gespräch besser eruiert werden. Dennoch mildert dies den grundsätzlichen Charakter der Verschärfungen nicht ausreichend und viele Betroffene mit komplexen Problemlagen laufen weiterhin Gefahr, durch Sanktionen nicht aktiviert, sondern in existenzielle Notlagen gedrängt zu werden. Denn aufsuchende Hilfen sind im Gesetzestext nicht explizit vorgesehen, sie sind als Kann-Regelung nur im besonderen Teil erwähnt. Um hier mehr Rechtssicherheit zu schaffen, sollte hier nicht eine Kann-, sondern vielmehr eine Soll-Regelung gesetzlich verankert werden. Außerdem sei an dieser Stelle erwähnt, dass ein häufiges Problem ist, und das liegt in der Natur der Sache, dass psychische Erkrankungen eben oftmals (weder den Jobcentern offiziell, noch den Betroffenen selbst) nicht bekannt bzw. auch nicht ärztlich attestiert sind. 

Daher sind besondere Bemühungen seitens des Jobcenters essentiell und es kann nicht davon ausgegangen werden, die Leistungsberechtigten zur persönlichen Anhörung ohne weitere Bemühungen bei einer bevorstehenden Leistungsminderung an den Tisch zu bekommen. Gleichzeitig ist die Lage in den Jobcentern angespannt, der Betreuungsschlüssel ist denkbar schlecht. Wird nicht gleichzeitig auch an der Personaldecke der Jobcenter gearbeitet, sind aufsuchende Hilfen schlichtweg nicht umsetzbar und die neue Regelung läuft damit ins Leere. Auch der vorgesehene Verzicht auf stufenweise Minderungszeiträume widerspricht dem Leitbild einer unterstützenden und auf Kooperation ausgerichteten Grundsicherung. Eine nachhaltige Integration in Arbeit kann nicht erfolgreich sein, wenn sie lediglich auf Druck basiert. Stattdessen braucht es kontinuierliche Förderung, Qualifizierung und individuelle Begleitung. 

Arbeitgeberhaftung/Schwarzarbeit 

Artikel 1 (zu § 62a SGB II - NEU sowie § 64 SGB II - NEU) 

§ 62a SGB II - NEU schafft eine Sanktions- und Haftungsnorm gegen Arbeitgeber*innen, die Beschäftigungen nicht melden oder vortäuschen. Wenn ein Arbeitgeber eine Beschäftigung nicht meldet oder eine Beschäftigung nur zum Schein anmeldet, dann ist er zum Ersatz der rechtswidrig erbrachten Leistungen verpflichtet. Die Haftung umfasst Sachleistungen, aber auch Sozialversicherungsbeiträge (§ 40 Abs. 2 Nr. 5). Damit sollen Arbeitgeber künftig zur Kasse gebeten werden, die Sozialbetrug durch Nichtmeldung oder fingierte Beschäftigungen ermöglichen. 

In § 64 ist geplant, die Jobcenter zur Meldung von Verdachtsfällen an die Zollverwaltung zu verpflichten. Diese Pflicht bezieht sich auf Anhaltspunkte für vorsätzliche Schwarzarbeit oder die Unterschreitung des gesetzlichen Mindestlohns. Das Ziel dieser Maßnahme ist es, sowohl Schwarzarbeit auf Seiten der Leistungsberechtigten als auch Verstöße von Arbeitgebern gegen den Mindestlohn zu bekämpfen. 

SoVD-Bewertung: Die Regelung ist aus Sicht des SoVD nachvollziehbar, um Schwarzarbeit besser ahnden zu können und Arbeitgeber in die Haft zu nehmen. Gleichzeitig befürchten wir, dass die Neuregelung zu großer Unsicherheit bei Arbeitgebern führt und damit die Chancen auf reguläre Beschäftigung für Leistungsberechtigte sinken. 

Die geplante Neuregelung in § 64 SGB II, die auf die Einhaltung des gesetzlichen Mindestlohns bei Arbeitgebern und die Verhinderung von Schwarzarbeit abzielt, steht im Einklang mit den Forderungen des SoVD und ist daher ausdrücklich zu begrüßen. 

Jugendberufsagenturen: Verbesserung der Beratung und Unterstützung von Jugendlichen 

Artikel 2 (zu § 9b SGB II - NEU, § 10 SGB III, § 28b SGB III, § 31b SGB III - NEU) 

Die geplanten neuen Regelungen in § 9b SGB III und § 10 SGB III zielen darauf ab, die Förderung junger Menschen beim Übergang von der Schule in den Beruf durch die Stärkung der Zusammenarbeit zwischen den verschiedenen Akteuren zu verbessern, um eine bestehende Förderlücke zu schließen. § 9b statuiert eine Pflicht für die Agenturen für Arbeit, bei der arbeitsmarktpolitischen Förderung junger Menschen eng zusammenzuarbeiten mit allen wesentlichen Beteiligten des örtlichen Ausbildungs- und Arbeitsmarktes. Mit § 10 SGB III sollen die Agenturen für Arbeit darauf hinwirken, dass solche Kooperationen entstehen oder fortgeführt werden. Ziel ist es, der Entstehung von Langzeitarbeitslosigkeit bei jungen Menschen entgegenzuwirken und die Zeiten des Leistungsbezugs zu vermeiden oder zu verkürzen. 

Mit § 28b SGB III soll die Agentur für Arbeit (AA) verpflichtet werden, junge Menschen umfassend und nachhaltig zu beraten - nämlich in ganzheitlicher Betreuung. Das Beratungsangebot soll über die reine Arbeits- und Ausbildungsvermittlung hinausgehen und die gesamten Lebensumstände der jungen Menschen berücksichtigen (insbesondere familiäre und soziale Hintergründe sowie individuelle Hürden). Ziel ist die Heranführung an eine Ausbildung oder Arbeit bzw. die Beibehaltung oder Ausweitung einer solchen. Die umfassende Beratung soll auch auf Leistungen anderer Träger hinweisen oder diese mit einbeziehen. 

§ 31b SGB III-neu ergänzt die allgemeine Beratung (§ 28b) um ein spezifischeres Förderinstrument. Die Norm schafft die Rechtsgrundlage für die gezielte Förderung von jungen Menschen, die aufgrund vielfältiger und komplexer Schwierigkeiten für die Regelinstrumente der Arbeitsförderung schwer zugänglich (schwer erreichbar) sind. Ziel ist es, diese jungen Menschen zunächst zu stabilisieren, ihre Hemmnisse abzubauen und sie schrittweise an die regulären Angebote der Berufsberatung, Ausbildung oder Arbeit heranzuführen. 

SoVD-Bewertung: Der Arbeit der Jugendberufsagenturen, in denen schon jetzt rechtskreisübergreifend gearbeitet wird (mit Leistungsträgern aus SGB II, SGB II und SGB VIII), wird im Gesetzestext besondere Bedeutung beigemessen - aus SoVD-Sicht völlig zurecht. Es ist daher zu befürworten, dass darauf abgezielt wird, die Strukturen weiter an den Orten aufzubauen, wo sie noch fehlen. Auf diese Weise können junge Menschen künftig bedarfsgerecht unterstützt werden, insbesondere in ihrer persönlichen Entwicklung, ihrer beruflichen Orientierung und ihrer nachhaltigen Integration in den Ausbildungs- und Arbeitsmarkt. 

Der SoVD begrüßt die Einführung der umfassenden Beratung ausdrücklich. Die stärkere Betonung der ganzheitlichen Beratung und die Berücksichtigung aller Lebensumstände sind notwendig, um die individuellen und komplexen Problemlagen junger Menschen am Übergang Schule/Beruf erfolgreich anzugehen. Auf diese Weise wird ein wichtiger Beitrag zur Vermeidung von Langzeitarbeitslosigkeit und zur besseren sozialen Integration geleistet. 

Für die Gruppe der Jugendlichen mit besonderen Eingliederungshindernissen reichen die klassischen Vermittlungs- und Beratungsansätze oft nicht aus. Die Regelung in § 31b ist eine notwendige und sinnvolle Ergänzung des SGB III, um junge Menschen zu erreichen, individuell zu betreuen und ihnen eine echte Chance auf berufliche und soziale Teilhabe zu ermöglichen. 

Berlin, 20. November 2025 

DER VORSTAND
Abteilung Sozialpolitik